Wie die OB-Kandidatur von Murat Kalmis den Wahlkampf in Delmenhorst aufmischt

FDP-Politiker mit türkischen Wurzeln

Quelle: Weser-Kurier, Link zum Artikel

Die FDP Delmenhorst hat Murat Kalmis zu ihrem Kandidaten für die Wahl eines neuen Oberbürgermeisters gemacht. Der erfahrene Kommunalpolitiker kann es in die Stichwahl schaffen, meint Björn Struß.

Murat Kalmis möchte Oberbürgermeister werden – diese Nachricht überrascht im politischen Delmenhorst niemanden mehr. Im Gegenteil: Es wäre eine große Überraschung gewesen, hätte Kalmis die Offerten seiner Partei und aus der regionalen Wirtschaft ausgeschlagen. Der erfahrene Kommunalpolitiker hat sich bitten lassen. Und er hat das Votum der FDP-Mitglieder abgewartet. Nach dem Kreisparteitag der Delmenhorster Freidemokraten am Dienstagabend ist klar: Kalmis macht’s.

Dabei war die Ausbeute bei der Kommunalwahl 2016 mit 7,4 Prozent eigentlich nicht dazu geeignet, nun Führungsansprüche zu stellen. Trotzdem kann es Kalmis in eine Stichwahl schaffen. Nach 20 Jahren in der Ratspolitik verfügt er über ein großes Netzwerk und ein für viele Wähler interessantes Profil.

Kalmis macht keinen Hehl aus seinen türkischen Wurzeln, auf Instagram spricht er Freunde und Unterstützer manchmal auch in türkischer Sprache an. In über 40 Prozent der Haushalte lebt in Delmenhorst ein Mensch mit einem Migrationshintergrund – das Wählerpotenzial ist entsprechend groß. Für all diese Menschen verkörpert Kalmis die Erfolgsgeschichte einer Einwanderungsgesellschaft: In Deutschland kannst du alles werden, auch Oberbürgermeister.

Die SPD setzt mit der OB-Kandidatin Funda Gür offenbar ebenfalls auf diese Strategie. Doch mit jeder weiteren Woche im Lockdown wächst für die Sozialdemokraten ein Problem: Gür ist in Delmenhorst ein unbeschriebenes Blatt. Gerade bei einer Direktwahl kommt es darauf an, in Begegnungen einen sympathischen und kompetenten Eindruck zu hinterlassen. Das ist für Gür bisher nur unter erschwerten Bedingungen möglich. Kalmis muss sich hingegen nicht einmal namentlich vorstellen – er ist vielen Delmenhorstern schon bekannt.

Zerstrittene Konkurrenz

Das Potenzial von Kalmis begründet sich auch in der Zerstrittenheit seiner Konkurrenz. Nach einer Legislatur voller Grabenkämpfe müssen die Sozialdemokraten erst einmal die Reihen hinter Gür schließen. Die Delmenhorster SPD muss sich von einem Aderlass erholen, der mit der Delmenhorster Liste (DL) für alle deutlich sichtbar ist. Der Zusammenschluss aus verprellten Sozis betreibt engagierte Ratspolitik. Fraglich ist aber, inwieweit dies in der breiten Bevölkerung auch wahrgenommen wird. Erste Gehversuche auf Instagram und Youtube erzielten bisher kaum Reichweite.

Die OB-Kandidatin der DL und Ex-SPD-Fraktionsvorsitzende Bettina Oestermann wird Gür voller Eifer Wählerstimmen streitig machen. Und auch der Poetry-Slammer und OB-Kandidat Joschka Kuty fischt mit seiner Satire-Truppe „Die Partei“ eher im linken Lager. In dieser Gemengelage muss die SPD-Kandidatin Gür darauf hoffen, dass sich die Wähler der Grünen bei der Direktwahl für sie entscheiden. Die Partei unterstützt eigentlich die CDU-Kandidatin Petra Gerlach. Es entscheidet sich aber erst an der Wahlurne, ob diese Allianz auch aufgeht. Gür muss den Wählern links der Mitte klar machen, dass sie schon im ersten Wahlgang alle Stimmen braucht. Gelingt dies nicht, ist Kalmis der lachende Dritte.

Auch im bürgerlich-konservativen Lager ist es nicht ausgemachte Sache, dass alle Wähler für Petra Gerlach stimmen. Doch die Konkurrenz durch Thomas Kuhnke ist marginal, seine Freien Wähler kamen bei der Kommunalwahl 2016 gerade mal auf 1,2 Prozent. Auch der parteilose Andreas Nuß, ehemals Mitglied der Grünen und Mitarbeiter der Gemeindeverwaltung in Lemwerder, dürfte eher als Außenseiter ins Rennen gehen. 

Die Konkurrenz durch Kalmis besteht nun darin, dass er nicht wie Gerlach ein Eigenprodukt der Stadtverwaltung ist. Wer die Behörden als zu behäbig kritisiert und sich Impulse für die Wirtschaft wünscht, wird sein Kreuz bei Kalmis machen. Durch den Coup der CDU, mit den Grünen zu paktieren, sollte es Gerlach aber trotzdem in die Stichwahl schaffen.

Auch die AfD möchte sich mit einem eigenen Kandidaten am OB-Wahlkampf beteiligen. Einen Namen hat die Partei aber noch nicht genannt. Auf der Welle der Proteste gegen die Flüchtlingspolitik gelang der Partei 2016 ohne nennenswertes Programm für Delmenhorst ein Wahlergebnis von 15,2 Prozent. Ob die AfD erneut von einer großen Zahl Protestwähler profitieren kann, hängt an der Bewältigung der Corona-Pandemie. Sollte am Wahltag des 12. September das von CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn und CDU-Kanzlerin Angela Merkel versprochene Impfangebot an alle Bürger noch nicht Realität sein, könnte dies auch der CDU-Kandidatin Gerlach wichtige Stimmen kosten. 

Den bisher zu erwartenden Zweikampf zwischen Gerlach und Gür hat Kalmis schon jetzt aufgemischt. Die Karten werden neu gemischt. Wer hat das beste Blatt? Der Wettstreit um die besten Ideen kann beginnen!